Wie schützt man sich vor Scheinselbständigkeit?
Scheinselbstständigkeit ist in Deutschland weit verbreitet. Je nach Betrachtungsweise gibt es hierzulande bis zu 436.000 Scheinselbstständige.
Scheinselbstständigkeit ist ein Problem, das alle Freiberufler und Selbstständige treffen kann. Sie ist weiter verbreitet als viele denken. Scheinselbstständigkeit kommt nicht nur in kleinen Unternehmen vor. Große Verlage, Fluggesellschaften, ja sogar der Bundestag, standen schon im Verdacht, Scheinselbstständige zu beschäftigen. Die Behörden gehen gegen Scheinselbstständigkeit vor, weil sie als eine Form der Schwarzarbeit gilt.
Der Auftraggeber, der einen Scheinselbstständigen beschäftigt, enthält dem Staat Beiträge für die Sozialversicherung vor. Der Begriff Scheinselbstständigkeit ist jedoch nicht exakt definiert. Jeder Fall wird einzeln geprüft.
Ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, wird durch ein Statusfeststellungsverfahren geprüft. Das wird von der Deutschen Rentenversicherungsanstalt durchgeführt, kann aber vom Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer, dem Finanzamt, dem Zoll oder der Krankenkasse angestoßen werden.
Mit diesem Jobratgeber möchten wir Ihnen leicht verständlich helfen, dass Sie besser einschätzen, wann eine Scheinselbstständigkeit vorliegt und welche Folgen diese haben kann.
Was sind die Kriterien der Scheinselbstständigkeit?
Eine Scheinselbstständigkeit liegt dann vor, wenn der Auftraggeber dem Freiberufler Weisungen erteilt, so dass dieser keine unternehmerischen Entscheidungen treffen kann:
- Festlegung der Arbeitszeiten
- Bereitstellen von Betriebsmitteln
- Integration in den Arbeitsablauf des Auftraggebers
- Pflicht zum Report
- Urlaubsanspruch
- Krankengeld
Andere, weniger wichtige Merkmale sind zum Beispiel, dass mindestens 80 Prozent des Umsatzes von einem Auftraggeber stammen. Das Honorar des Freiberuflers ist nicht höher oder sogar niedriger als das eines Arbeitnehmers mit vergleichbarer Tätigkeit. Der Freiberufler hat keinen Unternehmensauftritt (Visitenkarte, Website). Der Selbstständige nimmt an Schulungsmaßnahmen des Auftraggebers teil.
Ein Scheinselbstständiger hat keine unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Er wird von seinem Auftraggeber so sehr in Anspruch genommen, dass er keine Zeit für andere Arbeiten mehr hat. Es entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber.
Woran erkennen Sie einen Selbstständigen bzw. Freiberufler?
Wer als Freiberufler gilt, erfüllt alle oder die meisten der folgenden Merkmale:
- Es werden Arbeiten für mehrere Auftraggeber gleichzeitig geleistet.
- Arbeitszeit und Arbeitsort werden frei gewählt
- Es handelt sich um mehrere, voneinander unabhängige Projekte.
- Freiberufler nehmen keine Weisungen entgegen.
- Für die Arbeit werden eigene Arbeitsmittel und eigene Arbeitsräume genutzt.
- Der Preis für die Arbeit wird durch den Freiberufler festgelegt.
- Freiberufler betreiben ihr eigenes Marketing.
- Freiberufler tragen das unternehmerische Risiko und sind selbst haftbar.
Wer ist von der Scheinselbstständigkeit betroffen?
Das sind im Prinzip alle, die Auftragsarbeiten gegen Bezahlung durchführen. Dazu gehören zum Beispiel:
- Handwerker, Kurierfahrer und Reinigungskräfte
- Honorarkräfte aus dem Gesundheitswesen
- Texter, Illustratoren,Grafiker und Designer
- Spediteure
- Immobilienmakler
- Lehrkräfte und Berater
Warum verfolgt der Staat Scheinselbstständigkeit?
Es geht um den Schutz der von der Scheinselbstständigkeit betroffenen Personen. Selbstständige haben keinen so umfassenden Schutz wie Arbeitnehmer. Sie bekommen weder bezahlten Urlaub noch Krankengeld.
Sie zahlen weder in die Arbeitslosenversicherung noch in die Pflegeversicherung ein. Von ihnen wird erwartet, dass sie ihre eigene Krankenversicherung abschließen und selbst für ihr Alter vorsorgen. Wird eine Tätigkeit von Selbstständigen verrichtet, sparen beide Seiten die Sozialabgaben. Das deutsche Sozialsystem ist jedoch auf diese Abgaben angewiesen.
Der Verlierer ist am Ende der Scheinselbstständige. Sein Verdienst ist zu gering, um selbst Vorsorge für den Krankheitsfall oder das Alter zu treffen. Am Ende ist er auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Welche Folgen hat Scheinselbstständigkeit?
Wird in einem Statusfeststellungsverfahren eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, hat das sowohl für den Auftraggeber als auch für den Arbeitnehmer gravierende Folgen.
Folgen für den Auftraggeber
- Nachzahlung der Lohnsteuer
- Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) für die letzten 5 Jahre, bei Vorsatz für 30 Jahre
- eventuell Anzeige wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung
Folgen für den Auftragnehmer
- Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge für die letzten 3 Monate
- Aberkennung des Status als Freiberufler
- Nachzahlung von Lohnsteuer und Umsatzsteuer
- Der Arbeitgeber kann eventuell den Unterschied zwischen Arbeitnehmergehalt und Honorar zurückfordern
Beispiele für Scheinselbstständigkeit
Beispiel 1
Eine ehemalige Angestellte wollte für ihren alten Arbeitgeber arbeiten. Da sie noch andere Kunden hat, möchte sie freiberuflich tätig sein. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Aufträge, so dass sie keine Arbeiten mehr für andere Kunden übernehmen konnte. Nach einer Reihe von Projekten nimmt sie sich Urlaub bei ihrem Auftraggeber. Bei ihrer Rückkehr wurde beschlossen, dass sie aus Gründen der Bequemlichkeit an einem PC im Büro des Auftraggebers arbeiten könne.
Es handelt sich um einen klassischen Fall von Scheinselbstständigkeit, die sich allmählich entwickelte. Als Begründung wurde folgende Umstände angeführt:
- Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber
- Urlaubsanspruch
- Benutzung der Räume und Betriebsmittel des Auftraggebers
Beispiel 2
Einem arbeitslosen Projektmanager wurde angeboten, ein Team und dessen Projekte zu betreuen. Der Freiberufler arbeitete nicht von zu Hause aus, sondern im Büro des Auftraggebers. Dort benutze er dessen Betriebsmittel und kam in den Genuss von Vergünstigungen, darunter Verpflegung und Zugang zum firmeneigenen Fitnessstudio.
Auch hier wurde Scheinselbstständigkeit festgestellt:
- Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber
- Arbeitsort und Betriebsmittel wurden vom Auftraggeber gestellt
Scheinselbstständigkeit vermeiden
Beiden Seiten, Auftraggeber und Auftragnehmer, sind gut beraten, zu überprüfen ob ihre vertragliche Beziehung den Kriterien der selbstständigen Arbeit entspricht.
Sollte der Verdacht einer Scheinselbstständigkeit aufkommen, ist es am besten, wenn ein Fachanwalt konsultiert wird. Er kann die Verträge und Konditionen so gestalten, dass die Anklage der Scheinselbstständigkeit gegenstandslos wird.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Selbstständigenverbände (BAGSV) rät aber sowohl Auftraggebern als auch Auftragnehmern, ein Statusfeststellungsverfahren nicht anzustoßen, weil die Deutsche Rentenversicherungsanstalt im ersten Anlauf häufig zu dem Schluss kommt, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt und ihr Urteil erst nach dem zweiten oder dritten Einspruch revidiert.